"Im positiven Training wird unerwünschtes Verhalten einfach ignoriert." Stimmt das? Und wenn ja, ist das zielführend?
Wenn wir im Training ausschließlich mit positiver Verstärkung arbeiten, haben wir ein Problem:
Positive Verstärkung bedeutet, wenn auf ein Verhalten eine angenehme Konsequenz folgt, wird es in Zukunft häufiger gezeigt. Praktisch bedeutet das: wenn der Hund ein Leckerli bekommt, wenn er sich hinsetzt, wird er sich in Zukunft häufiger hinsetzen. So weit so klar: Mit positiver Verstärkung können wir dafür sorgen, dass Hunde öfter das machen was wir wollen und wenn man es gut macht (gutes Timing, gute Wahl des Verstärkers usw.), dann geht das meistens sehr schnell und ohne unerwünschte Nebenwirkungen.
Aber es liegt in der Natur der Sache, dass man mit dieser Methode kein unerwünschtes Verhalten abtrainieren kann.
Nur Strafe, also eine unangenehme Konsequenz, führt dazu, dass das Verhalten in Zukunft seltener wird, oder?
Löschung von Verhalten
Nein Strafe ist nicht die einzige Möglichkeit, denn auch ein Verhalten, auf das überhaupt keine Konsequenz folgt, wird in Zukunft seltener werden. Ganz einfach, weil die Natur darauf ausgelegt ist nicht unnötig Energie zu verschwenden und wozu sollte man ein Verhalten weiter machen, wenn es zu gar nichts führt. Diese Lernform nennt sich Extinktion oder einfacher: Löschung.
Wir können also theoretisch dafür sorgen, dass auf ein Verhalten keine Konsequenz erfolgt und schon ist es gelöscht. Aus diesem Grund wird hin und wieder empfohlen unerwünschtes Verhalten einfach zu ignorieren. Ganz einfach also. Oder doch nicht?
Ganz und gar nicht einfach und das aus verschiedenen Gründen:
1. Es funktioniert nur, wenn wir der Verstärker sind (bzw. ihn haben)
Wir haben ja gerade gelernt, dass Verhalten, auf das keine Konsequenz folgt, gelöscht wird, aber auf die meisten Verhaltensweisen folgt so oder so eine Konsequenz – egal ob der Hund nun vom Menschen ignoriert wird oder nicht. Ganz besonders gilt das für selbstbelohnendes Verhalten wie Jagd- oder Sexualverhalten. Beides ist an sich schon geil, weil „Glückshormone“ ausgeschüttet werden. Das ist die angenehme Konsequenz – was Mensch dazu sagt oder eben nicht, ist hier völlig irrelevant.
Aber auch Verhaltensweisen werden durch die Umwelt verstärkt, z.B. Essen klauen, davon laufen, an der Leine zerren uvm.
💡 Ein Verhalten durch Ignorieren löschen zu wollen, macht ausschließlich dann Sinn, wenn der Hund etwas von uns will. Nur dann können wir es ihm auch vorenthalten, wenn er dabei unerwünschtes Verhalten zeigt und hoffen, dass dieses so gelöscht wird.
2. Ignorieren ist schwerer als gedacht
Den Hund wie versteinert anstarren oder ständig heimlich auf ihn zu schielen ist kein Ignorieren und wird nicht zur Löschung des Verhaltens führen, sondern höchsten dazu, dass der Hund uns irgendwie seltsam findet.
💡 Tipp: Smartphone raus oder mal in einem Buch lesen – oder in diesem Blog 😉
Auch eine zu lange Auszeit (z.B. den Hund wegsperren), führt meist nicht zur Löschung des Verhaltens, sondern eher dazu, dass er vergisst womit er zuvor beschäftigt war und sich eine andere Beschäftigung sucht oder einschläft.
💡 Eine Auszeit - wenn unbedingt nötig - sollte nicht länger als ca. 2 Minuten dauern. Will man z.B. zu grobes Spiel oder eine zu stürmische Begrüßung ignorieren, reichen ein paar Sekunden und sofort wieder Aufmerksamkeit, wenn der Hund erwünschtes Verhalten zeigt.
3. Löschung funktioniert nicht linear und muss nicht endgültig sein
Löschung funktioniert nicht so, dass auf das Verhalten keine Konsequenz folgt, und *schwups* ist es weg. Hat der Hund in der Vergangenheit gelernt, dass er mit diesem Verhalten zum Erfolg (also einer für ihn angenehmen Konsequenz) kommt und plötzlich funktioniert das nicht mehr, wird das Verhalten zunächst schlimmer. Dieses Phänomen nennt sich Löschungstrotz und ist eigentlich ganz logisch nachvollziehbar: wenn ein Verhalten auf einmal nicht mehr funktioniert, kann es ja sein, dass man sich einfach nur mehr anstrengen muss, damit es wieder klappt.
Knickt man jetzt ein, hat man noch ein Problem, denn nun hat der Hund ja recht behalten: er hat sich mehr angestrengt und nun doch Erfolg.
💡 Wir sollten daher nie versuchen ein Verhalten zu löschen, dass wir nicht auch in stärkerer Intensität konsequent ignorieren können.
Ein gelöschtes Verhalten kann in Zukunft wieder auftreten. Wenn z.B. die Löschung nur in einem spezifischen Kontext stattgefunden hat, heißt das nicht, dass das Verhalten in allen anderen Kontexten auch gelöscht wurde. Wird es irgendwann doch wieder belohnt, tritt es natürlich auch wieder auf und es kann auch einfach so zu einer sogenannten Spontanerholung kommen und einfach wieder da sein.
💡 Löschung ist keine Garantie dafür, dass das Verhalten wirklich nie wieder gezeigt wird.
4. Manche Dinge kann (und darf) man nicht ignorieren
Nein, seriöse positive Trainer ignorieren keine Beißvorfälle oder gefährlichen Situationen. Und nein, niemand steht seelenruhig daneben, wenn ein Hund einen Giftköder schluckt.
Viele dieser Vorwürfe basieren auf überzogenen Karikaturen – sogenannten Strohmann-Argumenten. Es wird ein Bild eines Trainers oder Hundebesitzers gezeichnet, den es überhaupt nicht gibt, weil jedem klar sein müsste, dass man es nicht ignoriert, sondern sofort eingreift, wenn das Verhalten des Hundes ihn selbst oder andere gefährdet oder belästigt.
Wie man dann eingreift oder - besser noch - vorausschauend handelt, ist ein anderes Thema für künftige Blog-Artikel. Einfach ignoriert wird hier natürlich nichts!
💡 Bevor wir in Erwägung ziehen ein Verhalten durch Ignorieren löschen zu wollen, sollten wir uns ganz sicher sein, dass es auch praktisch möglich und ungefährlich ist, dieses Verhalten immer und konsequent zu ignorieren. Kann man das nicht garantieren, sollte man es gar nicht erst versuchen.
5. Ignorieren ist meistens gar nicht NICHTS
Ist Ignorieren überhaupt „keine Konsequenz“? Nun, ob etwas eine angenehme, unangenehme oder gar keine Konsequenz darstellt entscheiden nicht wir, sondern der Hund. In manchen Fällen wird der Hund das schon so verstehen, dass das Verhalten sich einfach nicht mehr auszahlt und aus Energiespargründen eingestellt werden kann.
In der Praxis ist es aber meistens so: Aufmerksamkeit oder auch die Erwartung einer Belohnung sind ja etwas Angenehmes für den Hund und dann nehmen wir ihm das einfach weg. Etwas Angenehmes wegnehmen ist aber nicht „nichts“, es ist eine Strafe! Und der Grund warum der Hund das unerwünschte Verhalten einstellt, ist dann gar keine Löschung, weil keine Konsequenz folgt, sondern das Verhalten wird seltener, weil es bestraft worden ist. Und dann ist das ja gar kein positives Training mehr ☹️
Das heißt, dass Trainer, die Ignorieren empfehlen gar nicht „ausschließlich positiv“ arbeiten. Womit ist auch die Falschmeldung entlarvt wäre, positiv Trainer, würden alles unerwünschte Verhalten einfach ignorieren.
Außerdem heißt es, dass man mit allen unerwünschten Nebenwirkungen rechnen muss, die die Anwendung von Strafe eben immer mit sich bringt (Frustration, Angst, Fehlverknüpfungen, Vertrauensverlust usw.). Mehr dazu aber dann ebenfalls in zukünftigen Artikeln.
Fazit
Darf/soll/muss man jetzt unerwünschtes Verhalten ignorieren oder nicht?
Meine Antwort: in den allermeisten Fällen lieber nicht. Es birgt zu viele Risiken und ist in der Praxis nur sehr schwer umzusetzen und selbst wenn es funktioniert, ist es meistens ein langer und mühevoller Weg, an dem die meisten an irgendeinem Punkt scheitern und am Ende ist das Verhalten schlimmer als zuvor, weil der Hund gelernt hat, er muss sich nur mehr anstrengen, irgendwann bekommt er schon, was er will.
Und wir reden ja hier erstmal nur über operante Konditionierung. Dass der Hund überhaupt unerwünschtes Verhalten zeigt, muss ja gar nicht (ausschließlich) an einer Lernerfahrung liegen. Auch unerfüllte Bedürfnisse, Stress, negative Emotionen und/oder Erkrankungen können dazu führen, dass Hunde Dinge tun, die wir nicht so toll finden. Verhalten, mit dem der Hund uns zeigt, dass etwas nicht in Ordnung ist zu ignorieren, ist mindestens genauso unschön, wie es zu bestrafen.
Wie wird man unerwünschtes Verhalten dann aber los?
Zunächst sollte ein wirklich positives Training die Ursachenforschung eben mit einbeziehen und gegebenenfalls die Ursache und nicht nur das Symptom los werden.
Im Training selbst haben wir aber mehrere Möglichkeiten unerwünschtes Verhalten in den Griff zu bekommen:
Konkrete Beispiele hierzu werde ich Euch in eigenen Artikeln geben, denn dieser hier ist eh schon länger als geplant 😉
Die einzige Situation, in der mir selbst auch noch nichts Besseres als Ignorieren eingefallen ist, ist aufmerksamkeitsforderndes Verhalten, denn in diesem Fall ist meine Aufmerksamkeit der Verstärker. Jede Interaktion – egal ob ich dem Hund gebe was er haben will oder ein Signal für ein Alternativverhalten gebe, selbst wenn ich schimpfe – verstärkt das Verhalten, weil der Hund erreicht hat, was er wollte: meine Aufmerksamkeit.
In diesem Fällen verwende ich ein „Ignorier“-Signal mit dem ich dem Hund klar mitteilen kann was los ist und dass den zeitlichen Rahmen eingrenzt. Das Signal teilt dem Hund mit „egal was du jetzt tust – von mir wird keine Reaktion erfolgen“, er muss also seine Energie nicht weiter verschwenden – Frauli ist quasi ausgeschaltet 😉
Man trainiert es, indem man dem Hund das Signal gibt und ihn danach komplett ignoriert (am besten indem man etwas liest oder auf seinem Smartphone scrollt). Egal was der Hund tut, er wird ignoriert! Dann löst man das Signal auf (idealerweise, wenn er gerade "brav" ist) und beschäftigt sich wieder mit ihm. Anfangs hält man die Ignorier-Zeiten sehr kurz und steigert langsam die Dauer.
Mein Ignorier-Signal ist "Sendepause" und mit "geht wieder" löse ich es auf. In der Sendepause darf der Hund machen was er will und wird konsequent ignoriert. Wenn man in irgendeiner Form mit ihm interagieren will, muss man es zuerst auflösen.
Tatsächlich kennen die meisten Hunde schon solche Signale, z.B. wenn man am PC sitzt oder mit seinem Smartphone beschäftigt ist